Zwischen Metaverse und Fediverse: Die Zukunft der sozialen Medien

Die Zukunft der sozialen Medien – so lautete das Thema der vergangenen Socialbar Bonn. Dieses Meetup war eine wunderbare Gelegenheit, über die Entwicklungen von Metaverse und Fediverse zu diskutieren. Vor allem war es spannend die jüngsten Entwicklungen von Twitter und Mastodon im Diskurs kritisch gegenüber zu stellen. Wohin entwickeln sich Gesellschaft, Wirtschaft (und wir als Agentur)?

Meetups als Anlass zum Diskurs

Die Socialbar Bonn war gut besucht wie in Vor-Corona-Zeiten. Es gab Zeiten als an jedem Abend der Woche teilweise mehrere Meetups parallel stattgefunden haben. Wie früher gab es eine gute Mischung aus bekannten und unbekannten Gesichtern. Zur offenen Kultur der Meetups gehört eine Vorstellungsrunde. So bekommt jedes Gesicht einen Namen und drei Hashtags und wird dadurch nahbar. Bei Meetups kann im Grunde jeder, der möchte, einen Vortrag halten. Anschließend gibt es Gelegenheit für Fragen und Feedback. Ich durfte bei der Socialbar am 6. Februar 2023 einen Vortrag zum Thema Mastodon und Bonn.social halten. Besonders gefreut hat mich der Diskurs mit Gunnar Sohn, dessen Vortragstitel „Twitter lebt“ lautete. Ich würde ergänzen: „noch“. Darüber hinaus hat Christian Freund Einblick in das Metaverse gegeben. Lena Kocanis vom Verein „Neue Stadtgärtnerei“ hat ihre Nutzung von Discord erläutert. Es war also eine spannende Bandbreite an Menschen, Themen und Ideen rund um das Thema Social Media vertreten.

Hat Twitter eine Zukunft?

Wenn es um die Zukunft der sozialen Medien geht, schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Einerseits habe ich mit Twitter mein digitales soziales Netzwerk auf- und ausgebaut. Die Socialbar als Meetup in Bonn war mein Einstieg in die offenen „digitalen“ Event-Formate. Dort gibt es persönliche Begegnung mit spannenden Menschen und Wissensaustausch auf Augenhöhe. Das Meetup wird durch digitale Kommunikation per Hashtag (meist auf Twitter) begleitet. Twitter und die Begegnung bei Meetups (und später Barcamps) sind die Grundlage für unsere Social-Media-Agentur Bonn.digital. Twitter ermöglichte mir Vernetzung, Sichtbarkeit, Einblick in die digitale Landschaft und in lokale und internationale Netzwerke. Es verschaffte mir selbst Sichtbarkeit und ich konnte mich mit Menschen austauschen, denen ich im Alltag niemals begegnet wäre. Auch Gunnar Sohn, bzw. @GSohn nutzt Twitter bis heute genau zu diesem Zweck: Als Journalist will er nicht weichgespülte Nachrichten aus den Presseabteilung bekommen. Er will ungefiltert direkte und ehrliche Antworten am liebsten von den entscheidenden Menschen selbst. Und die sind nun mal bei Twitter aktiv: egal ob Vorstände, Journalisten, Politiker oder andere Influencer. So haben wir beide über Jahre dort ein großes Netzwerk aufgebaut, von dem wir auch bis heute wirtschaftlich profitieren.

Twitter: Die Bubble einer Teil-Öffentlichkeit?

Man darf jedoch nicht unterschätzen, dass Twitter selbst niemals „die breite Öffentlichkeit“ repräsentiert hat. Nur wenige Prozent der Bevölkerung haben einen Twitter-Account und noch weniger Menschen nutzen diesen regelmäßig und aktiv. Diese Rolle haben eher Facebook und Instagram, wenn auch in harter Konkurrenz zu TikTok, das weiter stark wächst. Twitter war schon immer eine sehr „exklusive Party“ und Gunnar hat recht, wenn er Mastodon „klein redet“. Wenn Twitter nur eine kleine „Öffentlichkeits-Bubble“ ist, dann ist das Fediverse eine winzige Teil-Öffentlichkeit (mit aktuell 9 Mio. Nutzer*innen weltweit). Aber braucht es immer die große Bühne? Müssen wir unsere Inhalte immer an das möglichst größte Publikum hinaus posaunen? Oder ist manchmal der Austausch im kleinen Kreis auf Augenhöhe mehr wert? Die Socialbar hat mich gelehrt, dass auch kleine Communities mit offener Kultur ein Ort für wertvollen Austausch sein können.

Ein comichaftes, elefantenähnliches Tier
Das Maskottchen der Fediverse-Plattform Mastodon.

Dezentrale Netzwerke: die Meetups unter den sozialen Plattformen

Twitter war auch mal so ein Ort. Aber gerade in den letzten Wochen merkte man, wie sich ein privates Netzwerk verwandeln kann. Wenn es aufgekauft wird, kann ein Mensch allein entscheiden, was mit dem Netzwerk, den Daten und den Nutzer*innen passiert. Die Struktur von dezentralen sozialen Netzwerken entspricht viel mehr dem Ideal, was ich auch an Meetups wertschätze. Es gibt kleine Communities und trotzdem Vernetzung über die kleinen Communities hinaus. Die Diskurse werden mit Debattenkultur geführt, es gibt Begegnung auf Augenhöhe, Gestaltungswille und konstruktive Kommunikation. Und das ganze passiert auf einer offenen Plattform, die für jede*n zugänglich ist. Im Grunde kann im Fediverse niemand jemals vollständig ausgeschlossen werden, weil es keine zentrale Instanz gibt, die das entscheiden könnte. Der Entwickler von Mastodon, Eugen Groschko, nannte das Fediverse die „ultimate Free Speech“-Plattform. Die Gesetze bestimmen die allgemeinen Spielregeln, aber jede Instanz und Gemeinschaft kann in diesem Rahmen ihre Kommunikationsregeln selbst bestimmen. Regionale Eigenheiten lassen sich so viel besser abbilden, als es internationale Monopole tun könnten. (Wer mehr über Mastodon wissen will, kann mal in unseren älteren Blogartikel zu diesem Thema schauen.)

Kontakte, Freunde, Netzwerke und Locked-In-Effekte

Es ist nicht verwunderlich, dass Gunnar und viele andere an Twitter hängen. Seine knapp 19.000 Follower und das Netzwerk möchte er nicht einfach so fallen lassen. Aber es wird irgendwann so kommen, dass auch Twitter als Netzwerk sein Ende erleben wird, wie fast jedes andere Netzwerk. Sei es, weil Elon Musk das Netz ruiniert oder weil es pleite geht. Eine andere Variante ist, dass die europäischen Gesetze wirken. Es wird vermutlich weiter festgestellt und bestraft, dass die Datensammlung für personalisierte Werbung in der Form so nicht rechtens ist. Sichtbar werden auch die Gefahren für unsere Demokratie. Können wir durch Algorithmen auf Basis unserer Schattenprofile, analysiert durch „Künstliche Intelligenz“ und so personalisierte Werbeanzeigen manipuliert werden? Wenn ja, dann ist das eine andere Wirkung auf politische Entscheidungen als jede „normale“ Werbung bisher.

Wie schön wäre es nur, wenn es doch einen Standard für soziale Netzwerke gäbe! Bei dem ich meine Kontakte und Freunde, ja sogar meine Inhalte, einfach mitnehmen könnte. Aber jeder Versuch sein Netzwerk aus Twitter zu exportieren ist aktuell zum Scheitern verurteilt. Nicht nur Gunnar ist „locked-in“ in einem „walled garden“, denn wir nur verlassen können, wenn wir unser Netzwerk aufgeben. Bei Mastodon (und im Fediverse, das größer ist als Mastodon) kann ich mein Netzwerk exportieren und wieder importieren. Es gibt im Fediverse diesen Locked-in-Effekt nicht mehr. Es ist das letzte Mal, dass wir unser Netzwerk neu aufbauen müssen. Das sollte doch jeden zu einem Umzug ins Fediverse ermutigen, oder?

Das Protokoll ActivityPub macht Unmögliches möglich

Der Umzug ins Fediverse fällt keinem leicht. Aber vermutlich ist es das letzte Mal, dass ihr ein soziales Netzwerk neu aufbauen müsst. Hinter dem Fediverse steht ein Protokoll, das offen ist und das jeder implementieren kann: ActivityPub. Sogar Twitter könnte es anbieten (Tumblr tut es schon)! Ich finde, jedes soziale Netzwerk weltweit müsste einen Webstandard wie ActivityPub unterstützen, wenn es in Europa Geschäfte machen möchte. In der DSGVO gibt es leider nur das Recht auf „Datenübertragbarkeit“. Wünschenswert wäre eine wenigstens basale Interoperabilität: Das meint die Fähigkeit unterschiedlicher Systeme möglichst nahtlos zusammenzuarbeiten. Es sollte also nicht nur Export, sondern hoffentlich auch bald Import der (Kontakt-)Daten möglich sein. Perfekt wäre auch die Möglichkeit, zwischen den Netzwerken zu kommunizieren, so dass man z.B. mit einem Twitter-Account ein Instagram-Postings kommentieren kann. Im Fediverse ist es bereits ohne Probleme möglich, mit einem Mastodon-Account auf ein Pixelfed-Bild zu reagieren. Gleiches gilt für Peertube, dem Video-Netzwerk, und allen anderen Netzwerken im Fediverse auf Basis von ActivityPub. Das sollte man bedenken, wenn die großen Konzerne behaupten, Interoperabilität sei nicht möglich.

Das Problem an den Geschäftsmodellen: ohne Daten kein Geld

Aber wie sieht das Geschäftsmodell im Fediverse aus? Für Werbung gibt es keine „Business-Backends“. Man kann keine Werbeanzeigen erstellen und es gibt auch keine Datensätze, um diese für Zielgruppen zu personalisieren. Aus unternehmerischer Sicht ist die Frage richtig: „Wie sollen wir im Fediverse Geld verdienen, wenn keine Werbung ausgespielt werden kann?“ Gleiches gilt für Plattformbetreiber wie wir, die nach anderen Geschäftsmodellen suchen müssen.

Werbung an sich wäre nicht das größte Problem. Jedes Unternehmen kann Accounts anlegen und für sich werben. Es muss sich nur niemand dafür interessieren. Das Problem sind vor allem die Datensammlungen, die für die Werbetreibende angehäuft werden. Dahinter steckt das lukrative Versprechen, Streuverluste zu vermeiden und möglichst genau die richtigen Zielgruppe zu finden. Dieses Versprechen sorgt dafür, dass wir zu gläsernen Menschen für die großen Social-Media-Unternehmen wurden. Ohne umfangreich Daten von uns zu sammeln, könnten diese keine Profile erstellen. Und sie sammeln diese Daten nicht nur auf den sozialen Netzwerken, wo wir angemeldet sind. Durch Tracking und Drittanbieter-Cookies wird unser Verhalten auf vielen anderen Webseiten beobachten: egal ob Zeitung, Blog, Gesundheitsportale, usw. Cookie-Warnungen nerven nur so, weil wir fast überall im Netz mit Hilfe von Cookies im Verhalten beobachtet werden. Diese Daten, die von uns gesammelt werden, sind das, was die Social-Media-Konzerne so wertvoll gemacht hat. Dieses Wissen wird für personalisierte Werbung indirekt an die Werbetreibenden verkauft. Es gibt kein kostenloses soziales Netzwerk – wir bezahlen es mit unseren Daten. Aber was ist die Alternative für die dezentralen sozialen Netzwerke?

Bezahlung mit Daten oder für Datenschutz: Die Finanzierungsmodelle von Metaverse und Fediverse könnten nicht unterschiedlicher sein.

Welches Finanzierungsmodell, wenn es keine personalisierte Werbung gibt?

Entscheidend für einen nachhaltigen Betrieb sind die Geschäftsmodelle. Auch dafür nutzen wir so weit wie möglich Open-Source-Tools wie zum Beispiel Beabee.io. Unter https://abo.bonn.digital/join sammeln wir freiwillige, regelmäßige Zuwendungen der Nutzenden, die so ihr eigenes Netzwerk unterstützen. Im Fediverse gehen so die Interessen der Anbieter und ihrer „Kund*innen“ bzw. Nutzenden in die gleiche Richtung. Darüber hinaus gehören auch Sponsorings dazu. Einige Unternehmen können und wollen etwas mehr geben und dafür Sichtbarkeit und Dankbarkeit erhalten. Deswegen ist aber das Netzwerk nicht gleich käuflich. Jeder im Netzwerk bleibt frei zu entscheiden, auf welchen Server er geht, welche Spielregeln er akzeptiert. Oder ob er seine Accounts mitnimmt und seine Zelte woanders aufschlägt. Dann verschwindet natürlich auch die monetäre Unterstützung. Darüber hinaus verbrauchen dezentrale soziale Netzwerke viel weniger Energie. Sie müssen und wollen nur die nötigsten Daten für das soziale Netzwerk verarbeiten. Jeder unnötige Mehraufwand erhöht nur die Kostenseite beim Anbieter. Ehrlicherweise stehen Aufwand und Ertrag momentan in wirtschaftlicher Hinsicht in keinem sehr guten Verhältnis. Man muss schon eine ordentliche Portion Idealismus mitbringen, um aktiv im Fediverse Angebote zu schaffen. Aber es ist auch nicht purer Idealismus, sondern eine Investition in die Zukunft und aktive Gestaltung der Zukunft.

Gesetze und Regeln

Ich glaube nicht, dass noch mehr reguliert oder die Regulierung besser werden muss. Das hat Gunnar Sohn bei der Socialbar als These in den Raum gestellt. Schon jetzt ist es für jedes kleine soziale dezentrale Netzwerk eine riesige Herausforderung, alle Gesetze zu kennen und umzusetzen. Die bestehenden Gesetze und Regeln müssten vor allem gegen die großen Player durchgesetzt werden. Gerade die Durchsetzung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gerät oft durch unterbesetzte irische Behörden ins Stocken. Den Social-Media-Konzernen wird dann klar, dass ihr aktuelles Geschäftsmodell auf Basis von unbegrenzter Datensammlung in Europa nicht funktioniert. Durch aktuelle Urteile zur DSGVO sehe ich mich darin bestätigt. Unternehmen, die den Datenschutz nicht beachten, werden früher oder eher später in Europa Bussgelder zahlen. Umso wichtiger ist es, dass wir in Europa eine Alternative aufbauen, die nicht auf einer umfassenden Datensammlung basiert: das Fediverse. Die Chance ist da, dass wir in Europa etwas schaffen, das wie die Ursprünge des Internets ist. Das Internet war offen angedacht, demokratisch, mit Mitsprache- und Entscheidungsmöglichkeiten, über Grenzen hinweg und vor allem dezentral. Es gibt niemanden, der das gesamte Internet kontrollieren könnte. Deswegen verdienen wir auch soziale Netzwerke, die nicht durch eine einzelne Person kontrolliert und aufgekauft werden können. Wir alle als Gesellschaft sollten mitbestimmen und gestalten, welche sozialen Netzwerke wir haben wollen. Das wäre doch ein toller Export-Schlager. Man staunt ja sogar, dass weltweit immer mehr Staaten die DSGVO als Vorlage für Ihre Datenschutzgesetze nehmen. So hoffe ich auch, dass das Fediverse ein globaler Schlager wird.

Bonn.social vs. Social-Media-Großkonzerne = David gegen Goliath?

Twitter, Meta, Google, Microsoft sind natürlich viel größer als Mastodon oder das Fediverse. Aber monetäre Größe allein ist nicht entscheidend. Sie kann sogar ein Nachteil sein. So empfinde ich es auch für Mastodon und das Fediverse. Das Netzwerk, wo getrötet statt gezwitschert wird, ist eine sehr kleine, aber für mich feine Community. Von 2016 bis heute hatte ich auf Bonn.social immer eine gute Zeit. Das Netzwerk entwickelt sich mit jeder Welle weiter. Nicht alle bleiben dabei, aber das Fediverse ist immer weiter organisch gewachsen, auch nach dem Hype. Die Vision des Fediverse war 2016 und ist es uns heute als Agentur Bonn.digital wert, die Server weiter zu betreiben. Wir hoffen stark darauf, dass auf dieser Basis nachhaltige Geschäftsmodelle für uns entstehen. Insofern freuen wir uns über jeden Menschen und jedes Unternehmen, das auf diese Vision einzahlt, am liebsten auch mit Geld. Insofern unterstützt uns gerne dabei, alle Optionen dazu seht ihr hier: https://bonn.digital/unterstuetzen/

Ich finde es schön, wenn wir uns öfter wieder bei Meetups sehen. Wir wollen mit euch gemeinsam die Zukunft der sozialen Medien diskutieren und gestalten. Ich hoffe sehr, dass eine Zukunft der sozialen Medien anbricht, die das Fediverse bestimmen wird, auf Basis unserer europäischen Werte. Wir haben es in der Hand, welche Zukunft wir uns für die sozialen Medien wünschen.

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